Die älteste Ordnung der Brüderschaft
Wir erfahren aus dem alten Protocollbuch, dass die "Herren von Rohrbach", die den Krieg überlebten, schon 1671 die früheren Gesetze hatten aufschreiben lassen, mit dem Vorbehalt, dass man bei der Wiederbegründung der Brüderschaft noch Änderungen daran vornehmen könne. Wir können aber davon ausgehen, dass die wesentlichen Grundzüge der 1696 beschlossenen Ordnung auf frühere, mittelalterliche Statuten in weitem Maße zurückgehen. Die Zahl der Mitglieder, die 1696 diese Gesetze unterschrieb, betrug 9, zu denen bis 1705 noch 12 weitere hinzukamen. Von den Familiennamen aus dieser Zeit (wie Pötter, Sachse, Kanngießer, Krieger, Meyer, Jütte, Lotze, Ehrbeck, Wachenfeld, Kupferschläger, Welker, Vogt, Brake, Scheuermann, Weste, Zaun, Stilpflug, Lieppoldt, Pickling, Brede, Franke, Wacker, Rosenberg, Wiede und Hartmann) kommen noch heute eine ganze Reihe in der Stadt vor. Aber die Namenslisten lassen auch erkennen, dass nach dem Krieg viele neue Familien in die Stadt zogen, was für die Brüderschaft die Folge hatte, dass man im Bezug auf die Mitgliedschaft nicht mehr den Grundbesitz in der Rohrbacher Gemarkung zur Voraussetzung machen konnte. Die Mitgliedschaft konnte jetzt auch von anderen erworben werden. Die Gesetze werden mit einer Protocollnotiz eingeleitet, nach der unter dem Vorsteher des 1696. Jahres, Barthold Pötter, auf Lichtmeß unter Zugrundelegung der folgenden , wohlbegründeten Gesetze die Brüderschaft neu begründet wurde. Alle damaligen noch lebenden Brüder haben diese Ordnung durch Unterschrift gebilligt und eine Namensliste angefügt. Die Sprache dieser "Gesezze der löbliechen Rorbacher Geselschaft" (wie die Überschrift lautet)
ist so altertümlich und darum schwer verständlich, dass hier nur die
Leitgedanken der 25 Artikel wiedergegeben werden können. Vornan
stehen die Bedingungen für die Mitgliedschaft: "Selbige soll nicht
allein von ehrbaren Eltern geboren, sondern auch selbst eines
ehrlichen und aufrichtigen Wandels sein; in Ermangelung von diesem
wird er unwürdig erkannt werden; oder, da er schon aufgenommen ist,
danach aber ärgerlich lebt, soll er zugleich aller seiner Rechte
verlustig gehen". Auch der Besitz entsprechender Ländereien in der
Gemarkung ist kein Freibrief für die Aufnahme eines solchen
Menschen. Der Besitz von ererbten oder erworbenen Wiesen und Äckern
bleibt zwar Voraussetzung für die Mitgliedschaft, hebt aber die
Bedingung eines ehrlichen Lebens nicht auf. Dann werden die
Zahlungen für das Eintrittsgeld festgelegt je nach der Art, wie man
in den Besitz der Ländereien in der alten Gemarkung gekommen ist.
Ohne solchen Grundbesitz müssen besonders hohe Beiträge gezahlt
werden. Die neuen Mitglieder werden solange "zur schuldigen
Aufwartung" verpflichtet, bis sie durch Nachrückende ersetzt werden.
Diese so genannte "Knechtschaft" bezieht sich zuerst auf die
Bedienung bei den Jahrestagen (Imbs genannt, d.h. Imbiss), dann aber
auch auf andere Dienste, die von den Vorstehern verlangt werden. So
wenig wie die Selbstbezeichnung "Herren von Rohrbach" ein Adelstitel
ist, sondern dem gesunden Selbstbewusstsein freier Bauern auf
eigener Scholle entspricht, so wenig ist die Bezeichnung der
jüngsten Brüder als "Knechte" eine Abwertung, sondern erinnert, in
bäuerlicher Sprache, an die gebotene Unterordnung unter die
gewählten Vorsteher. Dieser als "Aufwartung" bezeichnete Dienst
erinnert ja an den Liebesdienst Jesu Christi, der sich nicht zu
schade war, seinen Jüngern die Füße zu waschen und ihnen bei Tische
zu dienen (Im Griechischen steht da das Wort Diakonie). Auch über
das Mittelalter hinaus waren ja Bürgergemeinde und Christengemeinde
identisch; wer zu der einen gehörte, war auch Mitglied bei der
anderen und umgekehrt. Das wurde deutlich bei der
Einbürgerungsvorschrift von 1357 (Eid und Opferlicht), drückt sich
aber auch in dem christlichen Geist aus, der die Gesetze der
Brüderschaft deutlich erkennbar durchzieht. Da heißt es etwa, dass
die Brüder sich bei den Versammlungen friedlich und fromm (=ehrbar)
verhalten und den höchsten Gott nicht durch lose Reden und Fluchen
zum Zorn reizen sollen, kleinere Streitigkeiten oder Schädigungen
sollten brüderlich beigelegt und Verluste erstattet werden. (Nur in
schweren Fällen sollte man zum Stadtgericht gehen.) Der gegenseitige
Beistand im Unglück wird besonders angesprochen, wenn etwa jeder
Bruder verpflichtet wird, bei Viehsterben dem Geschädigten mit
hilfreicher Hand, etwa mit Ackern und Fahren, beizustehen. Beim
Ausborgen von Ackergeräten soll auf sorgfältige Rückerstattung
geachtet werden. Der Beitrag zur Bruderschaft, der meist in
Naturalien erhoben wurde, sollte aus guter Frucht bestehen und gut
abgemessen sein, damit die Vorsteher damit die Abgaben der
Brüderschaft an die Stadt ehrlich leiten könnten. Vieles erinnert an
die alttestamentlichen Vorschriften des Moses für das alte
Gottesvolk, die durch gegenseitige Liebe und soziales
Verantwortungsbewusstsein geprägt waren. Immer wieder wird eine
ehrliche und aufrichtige, unbescholtene und rechtschaffene
Lebensführung angemahnt. Die Vorsteher können wegen "gemeiner
Sünden" (=allgemeinen, kleineren Übertretungen) Vermahnungen oder
Geldstrafen verhängen. Die Brüderschaft im Ganzen kann über den
Ausschluss eines Mitgliedes entscheiden; bei Abstimmungen in den
Versammlungen soll man die Mehrheitsentscheidungen respektieren. In
den Gesetzen wird ausdrücklich festgelegt, dass die Jahrestage am
Tage der Lichtmess, also am 02. Februar nach dem kirchlichen
Festkalender, stattfinden sollen bzw. unmittelbar danach. Besonders
in katholischen Gegenden wird dieses Fest der Darstellung des Kindes
Jesus im Tempel heute noch begangen. Im bäuerlichen Jahresablauf
bedeutete Lichtmess den Abschluss der Winterarbeiten im Haus und den
Beginn der Feldarbeit. Das Gesinde erhielt seinen Jahreslohn und
hatte das Recht, den bisherigen Dienst aufzukündigen. Doch bevor der
neue Dienst angetreten wurde, gab es noch üblicherweise ein paar
fröhliche Feiertage mit Musik und Tanz. An diese Gepflogenheit
erinnert bis heute der Brauch der Rohrbacher, den Brüderschaftstag
gerade um Lichtmess herum fröhlich zu feiern. Zusammengefasst wird
das Anliegen der Brüderschaft als einer echten Notgemeinschaft in
einer Protocollnotiz mit den Worten: "Die Brüderschaft hatte
anfänglich den Zweck, Gutes zu stiften, insbesondere Arme zu
unterstützen und den durch Unglücksfälle in Vermögensverfall
geratenen Mitgliedern wieder aufzuhelfen. Hierdurch sollte aber auch
die Liebe -welches das Höchste ist- nicht nur unter den Mitgliedern
und deren ganzen Familien erhalten, sondern auch unter denselben
sowie den übrigen Einwohnern, ja unter allen Menschen angefeuert,
ausdehnt und fortgepflanzt werden". In einer anderen Fassung von
1843 heißt es: "Hauptzweck der Brüderschaft ist es, Liebe und
Einigkeit zu stiften und zu halten, Armen und Bedürftigen zu raten
und sie zu unterstützen, besonders, wenn sich deren in der
Gesellschaft sollten." Als Nebenzweck der Brüderschaften wird auch
die Gründung einer Totenkasse erwähnt, um in Trauerfällen den
Mitgliedern die Aufwendungen für die Begräbnisse erleichtern zu
können. Noch heute ist es satzungsmäßige Pflicht, den verstorbenen
Brüdern und deren Angehörigen geschlossen zum Gottesacker zu folgen.
Dabei hatten die jüngsten Brüder die Aufgabe, das Grab auszuheben,
den Trägerdienst am Sarg und andere Nachbarschaftshilfe zu leisten.