Rohrbacher Brüderschaft

 ältestester Verein in Zierenberg

Der Jahrestag und anderes Brauchtum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Höhepunkt im Jahreslauf ist das dreitägige Fest, mit dem der traditionelle Jahrestag begangen wird, jeweils zu Lichtmeß Anfang Februar. Die zweite noch bestehende Brüderschaft in der Stadt, die "Leutzewärter" (nach dem früheren Dorf Lutwardessen) feiert am darauffolgenden Wochenende in ähnlicher Weise. Auffälligerweise finden sich weder in den Satzungen noch in den Protokollen feststehende Regeln, nach denen die Jahrestage begangen werden sollen. Hier und da finden sich ein paar Einzelbemerkungen, aus denen ein Außenstehender nicht allzu viel ersehen kann. Deutlich wird, dass jährlich eine Generalversammlung der Brüder allein und anschließend an demselben Tage ein Ball mit den Frauen (und konfirmierten Kindern) abgehalten wurde. Der Jahrestag beginnt mit dem schon erwähnten "Aufschroten" des Bieres, das früher eigens für dieses Fest gebraut und dann in Fässern in den Saal gerollt wurde. (Früher war es der Rathaussaal, dann lange Jahres bis 1967 der Saal des Gasthauses Rüppel, seitdem das Bürgerhaus der Stadt mit seinen modernen Einrichtungen).  Zunächst versammelten sich dort die Brüder, um "den Trunk zu prüfen". Man trank das Bier aus Groggläsern und ließ ab und zu auch altertümliche Branntweinkrüge herumgehen, auf denen die Inschrift eingeprägt ist "Pfifad Rohrbach" (=vivat heißt: es lebe Rohrbach). Als nützliche Zwischenlage wurden Teller mit jenem "Rohrbächer Schinken" herumgereicht, den wir schon beschrieben haben. Früher wurde Wert darauf gelegt, dass der Kümmel auf diesem trockenen Brot wirklich in der alten Dorfgemarkung geerntet wurde. War die Prüfung der Getränke zur Zufriedenheit verlaufen, so konnte man zur Generalversammlung schreiten, die am Freitagvormittag im gleichen Lokal stattfand. Ehrfürchtiges Schweigen herrscht, wenn die alte Lade geöffnet und die vergilbten Urkunden herausgenommen werden. Die Satzungen werden verlesen, die Aufnahme neuer Brüder beschlossen und durchgeführt und über alle die Brüderschaft betreffenden Angelegenheiten durch Mehrheitsbeschlüsse abgestimmt. Es steht jedem Mitglied frei, Anregungen und Vorschläge vorzubringen und zu allen Fragen der Brüderschaft Stellung zu nehmen, Man einigt sich über die Einladung einiger Gäste. Denn außer dem Pfarrer und dem Bürgermeister haben sonst keine anderen Personen Zutritt zum Jahrestag. Die Brüder bleiben zusammen, bis man unter Vorantritt der Festmusik zu den Häusern der Vorsteher und zu alten Brüdern, die nicht mehr am Fest teilnehmen können, zieht, um ihnen ein Ständchen zu bringen. Dann geht es zum Bäcker, wo in großen Waschkörben Wecken und runde Salzkuchen abgeholt werden. Aus dem Hause der zuletzt aufgenommenen Schwester holt man in blitzblanken Kaffeekesseln das Getränk und den Streuselkuchen, der auf langen Brettern durch die Stadt getragen wird. Im Festsaal werden die erschienenen Schwestern und Kinder an der von Musik umrahmten Kaffeetafel begrüßt. Die Bewirtung im Saal liegt ausschließlich in den Händen des Vorsteherehepaares und der jungen Brüder . Selbst der Gastwirt hat keinen Zutritt zu der geschlossenen Gesellschaft. Auf diese Weise kann auch der kostenlose Ausschank bzw. Verbrauch der Getränke ein wenig gesteuert werden. Den Kinderbelustigungen am Nachmittag folgt ein festlicher Ball am Abend, zu dem wieder die Musikkapelle nach altüberlieferten Noten spielt, die eigens für diesen Zweck komponiert wurden.

Längst verschollene Reigentänze, wie etwa die Kegel-Quadrille und die Tampete, werden sorgfältig einstudiert und mit Vergnügen getanzt. Bis in die letzten Jahre hinein wurden keine modernen Tänze gespielt. Es ist erfreulich anzusehen, wie jung und alt sich in diese traditionellen Ordnungen einfügen und mit großer Fröhlichkeit in rechter Zucht das Fest feiern. Der Saal wird mit selbstgefertigten Efeugirlanden und den alten Messingleuchtern geschmückt, indes andere alte Erinnerungsstücke ausgestellt werden. Nach der Begrüßung der geladenen Gäste halten Pfarrer und Bürgermeister kurze Ansprachen, bevor die Ehefrauen der am Vormittag neu aufgenommenen Brüder "gebunden" werden. Dazu bilden alle Anwesenden um die Neuaufgenommenen einen großen Kreis. Die Ehefrau des Vorstehers begrüßt die neuen Schwestern mit den Worten: "Wir haben vernommen, dass neue Schwestern sind aufgenommen. Die sollen uns herzlich willkommen sein. Wir wollen sie binden mit einem Sträusselein. Dieses soll kosten eine Kanne Wein; ist es aber keine Kanne Wein, so darf es auch Kaffee und Kuchen sein!"

 

Die neuen Schwestern werden mit Blumen geschmückt und tanzen dann mit ihrem Männern eine Ehrenrunde. Nachts um Zwölf marschiert dann fast die gesamte Gesellschaft noch einmal mit Musik durch die Stadt, um diesmal bei anderen Schwestern Kaffee und Kuchen einzuholen. Nach Beendigung der mitternächtlichen Kaffeetafel wird dann noch bis zum Morgen durchgefeiert, wobei die älteren Brüder für einen einwandfreien Ton und ein tadelloses Verhalten sorgen. Der Jahrestag wird mit einer kleinen Nachfeier der Brüder am Sonnabend geschlossen, bei der dann Abrechnung gehalten und die Gesamtkosten anteilig umgelegt werden.
Gleichzeitig tritt der neue Vorsteher sein Amt an und schließt das Fest mit der Ausgabe bitterer Salzkuchen (möglicherweise ein Hinweis auf die bevorstehende Fastenzeit oder eine Erinnerung an die harten Zeiten der Neugründung nach dem 30jährigen Krieg). Er übernimmt die Lade mit den alten Schriftstücken und schließt sie zum Zeichen der Beendigung des dreitägigen Festes. Zwischen den Jahresfesten werden gemeinsame Ausflüge, besonders in die alte Gemarkung und Fahrten mit Besichtigung veranstaltet, Spinnstuben anstelle der früher üblichen Schlittenfahrten im Winter und die Beteiligung am sommerlichen Viehmarkt mit einem geschmückten Wagen für den Umzug vorgenommen. Die nachfolgenden Nachrichten zeigen, dass sich im Lauf der Jahrhunderte manches naturgemäß gewandelt hat und den jeweiligen Zeiten angepasst werden musste. Im Kern aber haben sich die alten Traditionen erstaunlich sicher gehalten und geben zu der Hoffnung Anlass, dass sich immer wieder neue Brüder und Schwestern finden werden, um sie fortzusetzen.